Diese Woche ist, vielleicht weil Musk mit der AfD sympathisiert, ein großer Teil von Twitter zu Bluesky abgewandert und hat die Mastodon-Bubble kopfschüttelnd zurückgelassen. Investigativjournalist, der ich bin, habe ich meinen alten Bluesky Account reaktiviert, mir das Netzwerk für eine Woche mal angeschaut und ein paar kluge Gedanken anderer Leute durchgelesen.
Zunächst habe ich mich natürlich gefragt, warum Menschen, die bereits auf einer geschlossenen Plattform aktiv waren, auf die nächste wechseln. Ja, theoretisch könnte Bluesky ein dezentrales Netzwerk sein, wenn es das möchte, aber momentan sieht es nicht danach aus. Im Artikel von netzpolitik.org wurden Luca Hammer und Anne Roth interviewt, die die Probleme der ersten Welle der Mastodon-Neulinge recht gut zusammengefasst haben.
Ein weiterer Grund, den viele für den Erfolg von Bluesky und als Problem von Mastodon nennen, sei die Rechthaberei bei Mastodon und die ungebetenen Erklärungen, schreibt Anne Roth. „Sehr, sehr häufig gibt es zu Posts bei Mastodon ungebetene Erklärungen, oft von oben herab, klassisches Mansplaining.“
Anne Roth bei netzpolitik.org
Auf Bluesky existieren schon Memes für dieses Verhalten. „Ich bin schon länger auf dieser Plattform, also lasst mich erstmal 10 Regeln aufstellen, wie ihr euch hier zu verhalten habt“. Das ist nicht übertrieben; ich habe bereits viele solcher Beiträge gesehen, und es kursierte regelmäßig die Aussage „Mastodon ist nicht Twitter“ im Netzwerk. Als Moderator, der auch einen Blick hinter die Kulissen werfen konnte, erhielten wir viele Meldungen von Nutzern, die sich an der Art und Weise, wie die Leute von Twitter schrieben, gestört haben.
Wer längere Zeit in Informatik-Kreisen unterwegs war, kennt diese Haltung vieler Cis-Männer. „Ich will das nur nochmal richtig stellen“, „Das war nicht exakt formuliert, hier nochmal wie es eigentlich ist“. Ob auf Hackerspaces, Events, Fablabs… man trifft sie immer an und natürlich sind diese Leute gerade auf Mastodon zu finden. Sie zeigen sich zudem auch noch uneinsichtig, wenn sie darauf hingewiesen werden, denn sie fühlen sich ja im Recht.
Außerdem sind Leute einfach Gewohnheitstiere. Mastodon hatte gerade Ende 2022 seine Usability Probleme und konnte sich nicht gut verkaufen. Bluesky macht es bewusst anders und will gar nichts anderes sein als ein Twitter-Klon
Bluesky erfülle so den Wunsch der Menschen, sich und ihre Gewohnheiten nicht ändern zu müssen. „Es wird eine nostalgisch verklärte Version von Twitter verkauft“, sagt Hammer. Brodnig sieht das ähnlich: „Was einige Leute suchen, ist einfach ein Twitter, das nicht Elon Musk gehört.“
Luca Hammer & Ingrid Brodnig auf netzpolitik.org
Ich empfehle euch den ganzen Artikel durchzulesen, es war sehr erhellend für mich.
Meine Woche bei Bluesky
Wie war denn nun meine Woche im blauen Himmel? Ich muss sagen, ziemlich einsam. Ich habe einfach munter über meine Lieblingsthemen gepostet: Lastenfahrräder, Magic, ein paar politische Beiträge und vielleicht sogar einen Witz. Ich habe mich in Diskussionen eingebracht und anderen Leuten gefolgt. Passiert ist eigentlich nicht viel. Ich habe ein paar Likes von Miha erhalten (obwohl das so ist, als hätte meine Mutter gesagt, ich könne toll singen), und es wurde auf einen meiner Kommentare geantwortet.
Der Kommentar ging darum, dass ich es relativ ruhig finde und mir die Interaktionen fehlen. Daraufhin wurde mir geantwortet, dass man sich seine Follower schon erarbeiten muss. Für mich ging da ein Licht auf.
Ich als Nutzer einer sozialen Plattform bin nicht primär an der Erarbeitung von Followern interessiert, sondern an Interaktionen. In dieser Hinsicht stehe ich eventuell alleine da. Viele Accounts, die ich gesehen habe, haben keine Follower, folgen einer großen Anzahl von Accounts und posten nichts. Ironischerweise erinnert mich das an die 1%-Regel des Internets, nach der nur 1% der Leute in einem Netzwerk aktiv sind, während der Rest nur mitliest.
Marcus Richter hat das in seinem Thread auf Mastodon ganz schön zusammengefasst.
Das moderne Twitter hat schon immer anders funktioniert und darum war es immer das bessere Nachrichtenmedium. Große Accounts posten ihre Inhalte, die durch den Algorithmus an die potenziellen Leser:innen weitergeleitet werden. Das funktioniert wunderbar und wird auf Bluesky auch genauso weiter funktionieren.
Allerdings funktioniert dies für mich nicht, denn wie ich bereits oben geschrieben habe, interessiere ich mich für Interaktionen. Auf Mastodon findet sich für jedes Thema eine Gruppe von Leuten, die bereit sind, darüber zu sprechen und Feedback zu geben. Auch die Diskussionskultur ist angenehm. Doch da ist kein Algorithmus, der dich durch das Netzwerk führt. Es ist also viel schwieriger, eine große Masse an Menschen zu erreichen.
Wichtig anzumerken ist auch, dass meine Erfahrungen spezifisch für mich sind. Als weißer, heterosexueller Mann erhalte ich wenig Gegenwind, und dieses Problem betrifft nicht nur Mastodon, sondern ist oft zu finden.
Daher hoffe ich, dass die Mastodon-Nutzer sich mehr selbst hinterfragen, wenn es darum geht, warum Menschen lieber zu Bluesky wechseln. Gleichzeitig sollten sie jedoch schätzen, was sie mit diesem dezentralen Netzwerk eigentlich haben. Wer weiß, vielleicht wird Bluesky eines Tages auch dezentral. Ich bin gespannt, denn wie Mastodon zeigt, könnte dies eine große Bereicherung für uns alle sein.
Meine anderen Posts über Mastodon
Bei Fragen, Anmerkungen oder Kritik könnt ihr mich gerne bei Mastodon ansprechen.
2 Antworten zu „Mastodon, Bluesky und die Sache mit den Interaktionen“
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