Etwas zu beenden ist nicht einfach, sondern eine Kunst

Half-Life 2 feiert sein 20-jähriges Jubiläum – ein Spiel, das viele gute Erinnerungen bei mir weckt. Doch wer über Half-Life spricht, denkt auch an den massiven Cliffhanger, mit dem die Serie endete – oder vielmehr nicht endete. Selbst nach zwölf Jahren gelang es Valve mit Half-Life: Alyx nicht, die Geschichte abzuschließen.

Warum fällt es Menschen – und Unternehmen – so schwer, Dinge zu beenden? Wir reden oft über das Erreichen unserer Ziele, aber selten über das, was danach kommt, oder darüber, wie wir aufhören. Dabei ist ein gutes Ende ebenso wichtig wie der Weg dorthin.

Ein gutes Beispiel dafür ist das Ende von Liebesbeziehungen. Statt sich in Würde zu trennen, bleiben viele Paare aus Angst vor dem Schlussstrich zusammen – oft, weil Kinder im Spiel sind oder um den äußeren Schein zu wahren. Doch die Konsequenz ist häufig ein Leben voller Streit, das weder den Beteiligten noch den Kindern guttut. Es ist „too big to fail“ – die Angst vor dem Ende lähmt.

Das Gleiche gilt für die Game of Thrones-Bücher, deren Abschluss sich seit über einer Dekade verzögert. Der Druck und die Erwartungshaltung sind mittlerweile so hoch, dass selbst ein großartiges Ende vermutlich enttäuschen würde. George R. R. Martin leidet vielleicht unter dieser Situation – die Fans ganz bestimmt.

Oder eben Half-Life. Die Serie endet abrupt mit Half-Life 2: Episode 2, ohne dass eine dritte Episode jemals erschien. Gabe Newell, Mitbegründer von Valve, erklärte dies in einem Interview:

„You can’t get lazy and say, ‘Oh, we’re moving the story forward.’ That’s copping out of your obligation to gamers, right? … The failure was — my personal failure was being stumped. Like, I couldn’t figure out why doing Episode 3 was pushing anything forward.“
Gabe Newell

Ich stimme Newell hier nicht zu. Menschen lieben nicht nur Geschichten – wir leben sie. Gute Geschichten verweilen in unserem Gedächtnis, werden weitererzählt und prägen uns. Zu glauben, dass ein Spiel ausschließlich technologisch innovativ sein muss, ist aus wirtschaftlicher Sicht nachvollziehbar. Aber für mich sind gute Spiele in erster Linie gute Geschichten. Technologie ist zweitrangig. Vielleicht wollte Valve die Geschichte auch nie beenden, weil sie auf einer Welle des Erfolgs surften.

Judith Holofernes beschreibt in ihrem Buch Die Träume anderer Leute, dass die meisten Menschen beim Abstieg des Mount Everest sterben – nicht auf dem Weg nach oben. Nach dem Erreichen des Ziels fehlt oft die Energie oder der Plan, wie es weitergeht.

„Vielmehr starben die Bergsteiger meist an Erschöpfung. Viele der tödlich Verunglückten seien verwirrt gewesen, hätten die körperliche Koordination oder das Bewusstsein verloren.“
– Quelle: alpin.de

Diese Beobachtung lässt sich auf unser Leben übertragen: Wir denken selten an das Ende, konzentrieren uns auf den Aufstieg und vergessen, wie wir sicher wieder herunterkommen. Dabei kann ein bewusster Abschluss durchaus befreiend sein.

Ein gutes Ende beginnt mit Selbstreflexion: Will ich das, was ich gerade tue, wirklich fortsetzen? Und wenn nicht: wie möchte ich abschließen? Denn ein Ziel zu erreichen ist erst die halbe Geschichte. Der wahre Erfolg liegt oft darin, den richtigen Abschluss zu finden.

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Eine Antwort zu „Etwas zu beenden ist nicht einfach, sondern eine Kunst

  1. F
    F

    Da sprichst du etwas an das mich jetzt seit einigen Wochen aus anderem Grund umtreibt:
    Ich war verliebt, verliebt in ein Produkt, mein Produkt oder besser: unser Produkt, denn ich war nur eine kleine Leuchte im Kreise derer die die Produkt-Vision gestalteten.

    Doch es war auch das erste Mal das meine Konzepte als UX-Designer direkt das Schickal eines Produkts beeinflussen und sich vermeintlich auf die Verkaufszahlen auswirken würden. Ich würde endlich einmal den Produktentwicklungsprozess von Anfang bis Ende erleben und das Leben des „Babies“ vor den ersten Schritten der UX bis zum Release begleiten können. Ich redete mir ein dann wäre ich ein echter Designer, vielleicht noch mit obligatorischem RedDot Award, den meine Firma sammelte, wie andere Leute Schlüsselbänder.

    Dabei fand ich die Arbeit im Unternehmen nicht wirklich spannend. Der Produktmanager legte Featurewünsche vor, für die ein Konzept am Besten bis gestern erstellt werden sollte. Ausgefeilte Konzepte in denen ich mich kreativ austobte, wurden immer wieder aus Aufwandsgründen und persönlicher Befindlichkeit zusammengestrichen. Nur um dann Wochen später wieder auf der Wunschliste zu landen nachdem andere die selben Ideen recycled hatten. Technische Einwände meinerseits (Background: Informatik) wurden mit „bleib bei deinen Kompetenzen“ weggewischt.

    Als Quereinsteiger in die UX begann ich an meiner Fähigkeit zu zweifeln und ließ mich immer öfter von pessimistischen Kollegen anstecken. Das mir das nicht gut tat, merkte ich schnell, nachdem ich morgens mehrere Male mit Herzrasen und Panikattacken aufwachte. Es reichte! Zeit für den von dir erwähnten Abstieg/Ausstieg. Ein klärendes Gespräch mit HR indem ich ankündigte mich zu verabschieden, endete mit „bleib doch“ und dem Angebot einen Arbeitspsychologen aufzusuchen.

    „Vielleicht bin ich ja doch das Problem, mal gucken was der Psychologe sagt“ dachte ich mir und blieb. Eine Woche später das Urteil des Psychologen: „Sie sind im falschen Job!“ BÄM! Hammer, also lag ich doch nicht so falsch wie ich dachte, aber mit dieser Info jetzt einfach so aufhören und das „Baby“ so weiterlaufen lassen ohne zu sehen wie es groß wird? Nee, komm‘, Release ist in 3 Monaten, bis dahin mache ich weiter!

    Also Krönchen richten, weitermachen, innere Zweifel ignorieren. Ist ja bald geschafft…oder?

    21.09.2024 – Drei Release-Verschiebungen und 1,5 Jahre „Zähne zusammenbeissen, ist ja bald fertig“ später: Ich erhalte eine Termineinladung von HR: Lagebesprechung. Wirtschaft schlecht, Sparmaßnahme, Kündigung.

    1,5 Jahre Stress für nix.

    FUCK!

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